„Es war schick, atheistisch zu sein“
Die Dominikanerin Lydia la Dous beschäftigt sich schon lange Zeit mit dem Himmel, früher als Astrophysikerin, heute als Theologin. Als Naturwissenschaftlerin hat sie Glaube und Religion zunächst überhaupt nicht interessiert.
Von Markus A. Langer
DER SONNTAG: Wir stehen kurz vor Weihnachten. Gab es den Stern von Bethlehem wirklich und welche Himmelserscheinung hätte er sein können?
Lydia la Dous: Die gängige Hypothese, der ich mich voll anschließe, besagt, es war mit großer Wahrscheinlichkeit eine sehr seltene Konstellation am Himmel, ein sehr nahes Zusammentreffen von Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische. Der Termin, der sich aus den astro-nomischen Berechnungen ergibt, war der 12. November, im Jahr 7 vor Christus. An diesem Tag ist noch etwas Besonderes passiert. Wir lesen in der Heiligen Schrift, dass, als die Sterndeuter sich auf den Weg von Jerusalem nach Bethlehem machten, sie den Stern wiedergesehen haben. Dann stehen drei oder vier Ausdrücke von „Sie haben sich gefreut“. Riesenhafte, übergroße, überschwängliche Freude. Das muss einen Grund gehabt haben, dass das so im Evangelium drinsteht. An diesem konkreten Abend war der Mond noch nicht aufgegangen, der kam erst später um 9 Uhr, einige Zeit nach Sonnenuntergang. Da stand das Zodiakallicht, das ist Streulicht aus der Ebene, in der sich die Planeten bewegen, über Bethlehem. Die Spitze des Lichtkegels endete unmittelbar neben den zwei ganz nah beieinander am Himmel stehenden Planeten Jupiter und Saturn. Dieses Ereignis, das die Babylonier nicht vorausberechnen konnten, hat sie völlig überrascht und brachte praktisch die Sicherheit ihrer astrologischen Deutung: Dieses Kind, das absolut nicht königlich geboren worden ist, ist wirklich der Messias, der verheißene Herrscher der Welt.
Sie haben sich intensiv mit dem Fall Galileo Galilei beschäftigt? Wo genau bestand das Problem zwischen Galileis Naturphilosophie und der damaligen Philosophie und Theologie?
Es war nicht seine Naturphilosophie, sondern eine alternative Vorstellung über die Struktur des Sonnensystems. Die gängige Idee stammte vom griechischen Philosophen Aristoteles. Man ging davon aus, dass die Erde im Mittelpunkt der Welt steht. Galilei war überzeugt, dass das Modell von Kopernikus – die Sonne steht im Mittelpunkt – das richtige ist und meinte, dies mit neuen Beobachtungen mit Fernrohren belegen zu können. Er konnte es aber nicht, aber die Wissenschaftler der Kirche haben erkannt, dass seine angeblichen Beweise keine solchen waren.
Es gab zwei Prozesse mit der Kirche in diesem Zusammenhang. Beim ersten kam Galilei selber gar nicht vor. Es wurde festgestellt, dass es aus damaliger philosophischer Sicht ein Unsinn war zu sagen, dass die Sonne im Mittelpunkt des Systems stehe. Galilei wurde nahegelegt, sich daran zu halten, bis er etwas anderes beweisen konnte. Er hat zunächst auf dringendes Anraten einiger ihm sehr wohlgesonnener Kirchenleute hin lange Jahre nichts in dieser Richtung unternommen.
Irgendwann schrieb er doch, als ein guter Freund von ihm Papst wurde, Urban VIII., ein dickes Buch zu diesem Thema. Ziemlich aggressiv hat er seine These vertreten und vor allem den Heiligen Vater persönlich angegriffen. Das eskalierte derartig, dass der Heilige Vater ihn vor die Inquisition zitierte und Galilei zu lebenslänglichem Hausarrest verurteilt wurde. Er durfte aber weiterhin forschen und hat in seinen letzten Jahren sein wesentliches Werk, das erste moderne Physikbuch, geschrieben. Es war keine Auseinandersetzung zwischen der Naturwissenschaft und der Kirche, es war in Problem zwischen zwei Männern, Galilei und Urban VIII. Bei uns kursiert ein sehr falsches Bild dank des vielleicht schriftstellerisch guten Werkes von Bert Brecht, was inhaltlich die Tatsachen völlig verfälscht. Darin wird Galilei als Märtyrer der Wissenschaft hingestellt, was er wirklich nicht war.
Wie steht es heute um das Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Glaube? Welche Erfahrungen haben Sie selbst als Physikerin gemacht?
Als ich studiert habe, hat kaum ein Physiker oder Naturwissenschaftler sich getraut, laut zu sagen: Ich bin ein Christ. Es war damals nicht „in“, es war schick, atheistisch zu sein. Heute gibt es sehr viele Naturwissenschaftler, die sich zu ihrem Glauben bekennen. Mich selber hat das zunächst nicht interessiert. Ich bin völlig unreligiös erzogen worden, auch in meiner Ausbildung kam das nicht vor, dass jemand über das Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft geredet hätte. Ich habe erst später, als ich katholisch geworden war, die Welt aus zwei Perspektiven betrachtet und verstanden, dass Menschen damit ein Problem haben. Mir hat die Ausbildung zur Physikerin auf dem Weg zum Glauben geholfen, weil ich daran gewöhnt war, dass es Dinge gibt, die ich nicht unbedingt verstehen muss. Das Verhältnis zwischen Glaube und Naturwissenschaft ist angespannt, weil es philosophische Kreise gibt, die darauf pochen: Gott gibt es nicht oder alles ist durch Zufall entstanden.
Wie sind Sie zum Glauben gekommen?
Durch einen Freund. Wir kannten uns schon länger und haben ein halbes Jahr im selben Institut zugebracht. Er ist auf der einen Seite ein ausgezeichneter Wissenschaftler und auf der anderen Seite ein ganz offen bekennender Katholik. Das hat mich immens provoziert und passte zunächst nicht in mein Weltbild hinein. Wir haben angefangen, über den Glauben zu reden. Nach und nach habe ich gemerkt, dieser ist viel sinnvoller als ich ursprünglich gedacht habe.
Wie reifte Ihr Entschluss, in einen Orden einzutreten?
Zunächst stand die Frage für mich gar nicht im Raum. Ich musste mein Leben so einrichten, dass alles zum neuen Glauben passte. Relativ bald stellte sich in meinem Inneren doch die Frage „Vielleicht doch Ordensleben?“. Fast 15 Jahre habe ich im Gebet darum gekämpft – ja oder nein? Langsam kristallisierte sich heraus: „Vielleicht dann doch.“ Dann musste ich einen Orden finden, mit dem ich kompatibel war. Ich bin bei den Dominikanerinnen in Regensburg hängengeblieben. Es war ein radikaler Schritt, aber ich habe ihn bis jetzt keine Sekunde lang bereut.